Mission Guarray - ein gesellschaftskritischer Abenteuerroman von Frank Newada

Leseprobe: Mission Guarray

Leseprobe 

Mirko

Zuerst nimmt er nur eine undeutliche Bewegung wahr. Als er aufblickt, sieht er in der Ferne zwei Gestalten. Natürlich zwei, sie kommen nie allein. Unerbittlich marschieren die beiden durch das Schneetreiben auf seine Baracke zu. Wen werden sie diesmal holen?
  Inzwischen kann er sie schon deutlicher erkennen. Sie haben den Kragen der grauen Mäntel gegen den eisigen Wind hochgeschlagen und die Karabiner vorschriftsmäßig geschultert. Er glaubt, durch das Tosen des Windes das Knirschen der schweren Stiefel auf dem gefrorenen Morast zu hören.
  Mittlerweile haben auch die anderen Männer neben ihm die beiden entdeckt und starren mit angstgeweiteten Augen nach draußen. Mechanisch spannt Mirko eine neue Stoffbahn in die Singer-Nähmaschine ein und zwingt seinen ausgezehrten Körper weiterzuarbeiten. Solange er die Vorgaben erfüllt, gibt es keinen Grund, ihn auszusortieren. Trotzdem beißt sich die Angst in seinen Eingeweiden fest. Das Surren der zahllosen Maschinen schwillt an: Sie kommen dich holen … sie kommen dich holen … sie kommen dich holen. Immer deutlicher hört er es aus dem Chor der Maschinen heraus. Diese Männer sind auf dem Weg zu ihm, denn sein Leben hat sich den grausamsten Teil bis zum Schluss aufgespart!
  Jetzt sind sie aus seinem Blickfeld verschwunden. Mit bebendem Herzen starrt er auf die Tür. Gleich wird sie aufgehen und die Mörder werden sich ihn aussuchen. Aber sie bleibt zu. Ob sie doch auf dem Weg zur nächsten Baracke sind? Mirko hält den Atem an.
  Mit einem Stoß springt die Tür auf. Die beiden Todesengel poltern herein, begleitet von einem Schwall kalter Luft und wirbelnden Schneeflocken. Einer von ihnen öffnet den Mantel und nestelt Papiere hervor, die er dem Aufseher auf den Schreibtisch knallt. Der schaut kurz drauf, nickt und steuert mit verärgertem Gesichtsausdruck in Mirkos Richtung. Die beiden Soldaten folgen ihm.
  Die Nähmaschinen sirren nun wie im Todeskampf. Hunderte von hohlwangigen Gestalten verfolgen mit ihren Augen die drei Männer, die Köpfe krampfhaft nach unten gerichtet. Unbeirrt steuern sie auf Mirko zu. Erst als sie vor ihm stehen, machen sie Halt.
  „Mitkommen!“
  Mirko ist unfähig sich zu bewegen. Brutal wird er hochgerissen. Bilder von schwärenden Wunden, sich vor Schmerzen krümmenden Frauen und aufgedunsenen Leibern schießen durch seinen Kopf. Eine Zeitlang musste er Ärzte bei ihren Rundgängen begleiten. Mit teilnahmslosen Mienen trugen diese Daten in ihre Unterlagen ein, bei den Verstorbenen lediglich ein Kreuz. Seine Aufgabe war es, die Leichen zum Krematorium zu karren. Mirko beneidete die Toten, sie mussten nicht mehr leiden.
  Die beiden Schergen zerren Mirko nach draußen und bringen ihn in das Büro des Lagerkommandanten. Außer diesem ist noch ein hoher SS-Offizier anwesend. Trotz der bulligen Hitze fängt Mirko heftig zu zittern an. Die beiden umkreisen ihn und betrachten ihn ausgiebig.
  „Ausgezeichnet, geradezu perfekt.“ Der Kommandeur verschränkt die Arme und nickt zufrieden mit dem Kopf.
  „Ja, wirklich ausgezeichnet“, stimmt ihm der SS-Mann zu, „wie sein Zwillingsbruder.“
  „Wenn der Herr Obersturmbannführer ihn noch heute mitnehmen möchte, können wir die notwendigen Papiere sofort unterzeichnen.“ Der Kommandant weitet den Kragen seiner Uniform und reckt dabei das Kinn nach vorne.
  Mirko spürt, dass er den ranghohen Offizier gern los wäre. Er kennt das Dominanzgebaren und Kompetenzgerangel von Wehrmacht, Gestapo und SS. Lange Zeit war er einer von ihnen. Und dann ihr Getue mit den Papieren. Hier werden willkürlich Menschen erschlagen, vergast und zu Tode geschunden, und trotzdem müssen für jedes Opfer penibel Dokumente geführt werden.
  Aber was haben sie mit ihm vor, wenn sich ein so hoher SS-Mann für ihn interessiert? Was ist mit seinem Zwillingsbruder? Die Nonnen im Waisenheim haben nie ein Wort darüber verloren. Vielleicht ist der ein großes Tier, mächtiger als der Gauleiter, der ihn ins KZ gebracht hat. Hat er womöglich erst jetzt von Mirko erfahren und die Freilassung angeordnet? Oder bedeutet es, er und sein Zwillingsbruder sind für eines der gefürchteten medizinischen Experimente ausgewählt worden?
  Ein Soldat erscheint, der Mirko auf einem Teller Brote hinstellt, dick belegt mit Wurst. Gierig verschlingt er sie, während die anderen im Raum Papiere unterzeichnen. Als sie ihn aus dem Lager führen, muss er sich von dem ungewohnten Essen übergeben. Draußen wartet ein Fahrer in einem prächtigen Mercedes, was Mirko als ein gutes Zeichen wertet.
  Mit unfassbarem Staunen sieht er, wie das Lager mit den Wachtürmen und dem Stacheldraht langsam verschwinden. Durch das sanfte Schaukeln während der Fahrt dämmert er langsam weg.

Fred

Fred reist 1. Klasse. Vor seinem Fenster gleitet eine vertraute alpine Landschaft vorüber. Ein Blick auf seine dunkelhäutigen Mitreisenden macht ihm jedoch augenblicklich bewusst, er ist nicht unterwegs in den Alpen. Sein Ziel ist auch kein Ferienhotel, und er ist weit weg von seiner Heimat.
  Immer wieder schauen sie verstohlen zu ihm herüber. Er ist ein Eindringling, der hier nichts zu suchen hat. Obwohl viele Einwohner von Guarray Weiße sind, fällt er als Ausländer auf.
  Fred gehört zu den Privilegierten, die eine Einreiseerlaubnis für dieses Land erhalten haben, das erst vor Kurzem seine Grenzen geöffnet hat. Für die Welt existiert dieses südamerikanische Land nicht, das immerhin doppelt so groß wie Österreich ist. Erst vor zwei Wochen hat er zum ersten Mal diesen Namen gehört. Sein Verlag, für dessen Magazin Globus er unterwegs ist, hat ihm nur ein paar spärliche Informationen zusammengestellt. Nominell wird Guarray von einem gewählten Präsidenten regiert, faktisch handelt es sich um eine Militärdiktatur, in der ein Menschenleben wenig zählt, und die bisher jede Einmischung von außen verhindert hat.
  Wie eine Militärjunta mit Gegnern umgeht, zeigte ihm die Fernsehsendung über eine junge deutsche Entwicklungshelferin in Argentinien in den Siebziger Jahren. Selbst eine informierte deutsche Regierung konnte oder wollte nicht verhindern, dass sie nach wochenlangen Folterungen umgebracht wurde.
  Davor hat er die meiste Angst, und deshalb trägt er in einem Medaillon eine Zyankalikapsel bei sich. Als Chemiestudent hatte er in einer depressiven Phase eine kleine Menge dieses Giftes aus dem Labor abgezweigt. Die Kapsel gibt ihm seitdem die tröstliche Gewissheit, wenn das Leben unerträglich wird, kann er es selbst beenden.
  Er greift nach dem Medaillon mit dem Bild seines Sohnes. Für ihn macht er diese Reise. Will er ihn nicht ganz verlieren, so muss er mehr als einen Reisebericht über Guarray abliefern. Tatsächlich soll er in diesem Land dem rätselhaften Verschwinden von überwiegend blonden Kindern nachgehen. Nur mit einer sensationellen Enthüllungsstory kann er seinen Job retten, ohne den er seinen Sohn endgültig an seine Exfrau verlieren wird. Er ist angezählt, die Indizien, er habe Schmiergelder angenommen, sind erdrückend.
  Unauffällig versucht er das Medaillon unter sein Hemd zurückzuschieben, doch den wachsamen Augen seiner Reisebegleiter entgeht nichts. Er spürt ihre hasserfüllten Blicke, als ob sie nur auf einen Fehler von ihm lauern, um ihn in einen ihrer Folterkeller zu schleppen. Wenn hier Kinder verschwinden, so nur mit dem Wissen der herrschenden Clique. Wie soll er dem nachgehen, wenn er sich bereits am ersten Tag von deren Schergen umstellt sieht?
  Fred schließt die Augen und legt seine Hand auf die Kapsel mit dem Gift. Er hätte nicht einreisen sollen! Wenige Stunden zuvor saß er noch inmitten einer fröhlichen Schar Argentinier, die im Zug unterwegs waren, um auf dem Marktplatz der Grenzstadt ihre Waren zu verkaufen. Unter den Holzsitzen, auf den Ablagen, in den Gängen und auf dem Schoß der Leute stapelten sich Kisten mit Haushaltsgegenständen, Pakete mit Kleidern und Käfige mit allerlei Getier.
  „Americano?“
  „No, alemán.“
  „Ah, bueno. Bayan Munchen.“
  Dabei strahlten sie und zeigten mit dem Daumen nach oben. Das hatte Fred schon in Venezuela erfahren: die Deutschen sind im Gegensatz zu den US-Amerikanern beliebt. Es gibt wohl nur ein Volk, das grundsätzlich schlecht von Deutschen spricht - sie selbst.
  „Habla usted español?“
  „Un poquito“, antwortete er und zeigte mit Daumen und Zeigefinger die Größe einer Erbse, obwohl er ausgezeichnet Spanisch spricht. Es gehört zu seiner Strategie für diese Reise, es zu verheimlichen. Man erfährt mehr, wenn andere glauben, man versteht ihre Sprache nicht.
  Während der Fahrt boten ihm die Mitreisenden alles Mögliche zum Kauf an, von einer Hängematte bis zum lebenden Schwein. Er kaufte etwas Obst, obwohl er nicht hungrig war. In holprigem Spanisch und mit vielen Gesten schwärmte er vom argentinischen Fußball. Für ihn seien Messi und Maradona die besten Spieler, die es je gegeben habe. Danach war jeder im Zug sein Freund. Er sei simpático.
  Als sie in den Bahnhof einfuhren, erkundigten sie sich nach seinem Reiseziel. Guarray! Entsetzt schlugen sie die Hände über dem Kopf zusammen. Eine der Frauen bekreuzigte sich.
  Wehmütig schaute Fred ihnen beim Abschied nach, wie sie schwer bepackt Richtung Markt schlurften. Sie würden abends zu ihren Familien zurückkehren, er dagegen wohl die Wand eines fremden Hotelzimmers anstarren. Die Unterkunft hatte die Sekretärin bereits von Deutschland aus gebucht. Es gab keinen Prospekt, nur eine vage Beschreibung, die eher auf eine billige Absteige hindeutete. Vor Kurzem war für ihn ein 5-Sterne-Hotel üblich. Man hat ihn bei Globus wohl schon abgeschrieben.
  Vor dem Bahnhof rief er ein Taxi. Er musste zweimal das Ziel nennen. Dann schüttelte der Fahrer bedauernd den Kopf. Als Fred ihm ein Bündel Dollarscheine zeigte, zögerte er kurz und deutete dann mit dem Kopf, ihm zu folgen. Vor einer heruntergekommenen Spelunke rief er durch die offene Tür.
  „Pablo?“
  Der Name wurde mehrmals laut im Innern wiederholt, bis ein junger, verwegen aussehender Kerl heraus wankte. Der Fahrer wechselte ein paar Worte mit ihm und deutete dabei auf Fred. Mit einem breiten Grinsen trat der Bursche auf ihn zu und verlangte den Fahrpreis im Voraus. Der Schnapsgeruch von Pablo, aber noch mehr die Höhe der Summe verschlugen Fred den Atem. Damit könnte der Kerl anschließend diese Kaschemme kaufen und hübsche Mädchen auf den Tresen tanzen lassen.
  Aber Fred hatte keine Wahl. Mit flauem Gefühl folgte er ihm zu einem altersschwachen Geländewagen und verstaute sein Gepäck auf dem vor Schmutz starrenden Rücksitz. Worauf hat er sich bei diesem Unternehmen bloß eingelassen? Warum nicht mit Pablo ein paar Tequila zwitschern und am nächsten Tag ein Telegramm schicken: Einreise verweigert.
  Doch dann rief er sich das letzte Treffen mit seinem Sohn in Erinnerung. Entschlossen stieg er ein. Mit halsbrecherischem Tempo fuhren sie durch das Niemandsland zur Grenze, wobei Fred sich fragte, ob der Fahrer Schlaglöchern auswich oder der Schnaps das Lenkrad steuerte. Leicht benommen kletterte Fred am Schlagbaum aus dem Wagen, und bevor er Adiós sagen konnte, brauste Pablo auch schon davon.
  Die Grenzstation glich einer Kaserne im Kriegszustand. Es wimmelte von Soldaten, die Fred wie ein fremdes Tier anstarrten, dessen Gefährlichkeit sie nicht einschätzen können. Sein Pass und die Sondergenehmigung des Ministeriums wurden oft und lange von verschiedenen Leuten geprüft.
  Ganz plötzlich wurde er ohne ein Wort in einen Jeep gesetzt, der ihn zum Bahnhof des nahe gelegenen Ortes brachte. Auch hier wichen ihm die Menschen ängstlich aus, als ob er eine ansteckende Krankheit hätte.
  Ein Glück, dass sein Arbeitgeber ihm schon Tickets und genügend Pesos besorgt hatte. So konnte er sofort in den Zug einsteigen. Er wuchtete seinen Koffer durch die offene Tür des verdreckten Dampfzuges. Ein Geruch von Hühnerstall, fettigem Essen und menschlichen Ausdünstungen schlug ihm entgegen. Übelkeit und Wut stiegen in ihm hoch. Rücksichtslos drängte er sich durch Menschen und Gegenstände.
  Als Fred einen Schaffner entdeckte, schob er die Umstehenden einfach weg und zeigte ihm den Fahrausweis. Der schaute mehrmals ihn und das Ticket an, bevor er sich abrupt umdrehte und vorausging. Vor einer Tür mit der Aufschrift 1. Klasse blieb er kurz stehen und deutete erbost mit einer knappen Kopfbewegung auf das Schild, bevor er umkehrte. Auch gut, in diesem Land muss er sich nicht vor falscher Freundlichkeit in Acht nehmen.
  Im Abteil war alles überraschend sauber, kühl und vor allem menschenleer. Erleichtert ließ er sich auf seinen reservierten Fensterplatz sinken. Er hoffte schon allein zu bleiben, als lautstark eine Gruppe Soldaten hereinplatzte. In ihren giftgrünen Kampfuniformen versetzten sie Fred in Panik. Mit seiner Einreise stimmte etwas nicht, und diese Kerle hatten den Auftrag, ihn zu verhaften.
  Sobald sie ihn bemerkten, erstarrten sie in ihren Bewegungen. Leise flüsternd suchten sie weit entfernte freie Plätze, während noch weitere hereinströmten. Aber schon bald herrschte wieder normale Lautstärke. Sie waren nicht wegen ihm hier! Erleichtert vertiefte Fred sich in seine Reiselektüre und schaute erst wieder auf, als plötzlich alle verstummten.
  Ein Mann hatte das Abteil betreten, dessen Uniform und Abzeichen ihn als höheren Offizier auswiesen.

****

  „Karl Friedrich, du sollst nach dem Abendessen zum Direktor.“
  Der Präfekt, der die Aufsicht beim Mittagessen hat, schaut Fred mit ernster Miene an. Fred wird ganz flau im Magen. Wenn man zum Direx muss, hat man meist etwas ausgefressen, was nicht mit einer Ohrfeige abgehandelt wird. Bis zum Abend geht er die letzten Tage durch, was er gemacht hat. Außer den üblichen Rangeleien und dem heimlichen Onanieren fällt ihm nichts ein. Das letzte Mal bekam er den Rohrstock zu spüren, weil er einen deutlich älteren Schüler verprügelte, der einem lebenden Frosch einen Schenkel abgerissen hatte. Wenn Fred in gerechten Zorn gerät, wiegt er drei Zentner.
  Beim Nachmittagskaffee schiebt Fred seinen trockenen Streuselkuchen hin und her. Sein Magen ist ein einziger Klumpen. Nur Sonntags gibt es Kuchen, statt wie sonst nur Brot mit Marmelade. Nur die Sorte variiert alle paar Wochen. Es gibt auch keinen Kaffee, nur den undefinierbaren Muckefuck. 
  „Willst du deinen Kuchen nicht essen?“
  Erwartungsvoll schaut sein Tischnachbar zu ihm, wobei er mit dem nassen Zeigefinger letzte Krümel vom Teller aufpickt.
  „Ich muss zum Direx.“
  „Oh Scheiße, du kriegst nächsten Sonntag auch mein Frühstücksei.“
  Es ist üblich, dass man tauscht. Das hätte der Junge diesmal gar nicht anbieten müssen, aber jeder weiß was es bedeutet, beim Internatsleiter erscheinen zu müssen. Auch beim Abendessen kriegt Fred keinen Bissen herunter.
  Danach geht er zum Zimmer des Internatsleiters. Mit bebender Hand klopft er an der Tür. Doch nichts passiert.. Er klopft fester. Immer noch keine Antwort. Angstvoll horcht er durch die Tür. Ist er nicht da, und es war nichts Wichtiges? Kann er weggehen oder macht er dadurch alles schlimmer?
  „Komm rein!“ Die Stimme des Direktors klingt Unheil verheißend.
  Vorsichtig öffnet Fred die Tür. Pater Otto steht mit dem Rücken zu ihm und schaut aus dem Fenster, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Da es dunkel ist, spiegelt sich das kantige Gesicht mit der strengen Brille darin. Wortlos dreht er sich um, geht auf Fred zu und stellt sich hinter ihn. Fred wagt es nicht, sich umzudrehen.
  „Weißt du, warum ich dich habe rufen lassen?“
  „Ne … ne … nein.“
  Tschuff!
  Der Schlag trifft Fred unerwartet, er hat keinen Rohrstock in seiner Hand gesehen.
  „Lauter oder hast du ein schlechtes Gewissen?“
  „Ich weiß es nicht.“
  Tschuff!
  Diesmal hat er den Schlag erwartet und den Reflex unterdrückt, die Hände zur Abwehr nach hinten zu reißen. Er hat nicht vergessen, nachher schmerzt das am meisten.
  „Du weißt es sehr genau. Belüge nicht einen Vertreter Gottes.“
  „Ich habe in der Heiligen Stunde heimlich ein anderes Buch gelesen.“
  Sonntags war von elf bis zwölf Uhr die Heilige Stunde, wo man nur in der Bibel, dem Religionsbuch oder Geschichten über Heilige lesen durfte.
  Tschuff!
  „Weiter, ich höre.“
  „Ich habe während der Messe mit meinem Nebenmann geschwätzt.“
  Tschuff!
  „Dafür hätte ich dich nicht aufs Zimmer bestellt.“
  Bei jedem Schlag nehmen die Schmerzen zu. Er weiß, wenn er schreit, werden die Schläge noch heftiger. Eine gerechte Strafe muss man in Würde ertragen, wurde ihm beim ersten Mal erklärt. Er kann die Tränen kaum noch zurückhalten. Vielleicht hätte er doch eine zweite Unterhose anziehen sollen. Einmal hatte er drei Unterhosen angezogen, aber sobald der Pater das merkte, gab es die Schläge auf den nackten Hintern.
  „Und das“ - Tschuff! Tschuff!- „ist für deine beiden genannten Vergehen.“
  Nun kann er seine Tränen nicht mehr zurückhalten und er zählt all die Dinge auf, die er sich im Laufe des Tages überlegt hat.
  „Ich habe mein Bett unordentlich gemacht; ich habe bei den Hausaufgaben abgeschrieben; ich habe gesündigt in Gedanken, Worten und Werken; ich hatte unkeusche Gedanken …“ und vor Schmerzen fängt er zu beichten.
  Bei jeder Aufzählung spürt er den Rohrstock. Als er vor Schmerzen nicht mehr stehen kann, sinkt er auf die Knie und fängt an zu beten.
  „Vater unser, der du bist im Himmel …“
  „Was hast du im Herren-Speisesaal gemacht?“
  Im Herren-Speisesaal essen nur die Patres. Sie bekommen dort anderes Essen, nicht den Schweinefraß, wie die Schüler ihr Essen nennen. Fred ist klar, jetzt hat er keine Gnade mehr zu erwarten. Was er dort gemacht hatte, war so ungeheuerlich, dass es ihm erst nachher bewusst wurde. Als hätte ein anderer es getan.


****


  Jetzt schämt sich Fred für seinen Verdacht, der sich während der Fahrt gesteigert hat. Es gibt keinen Grund Pacheco zu misstrauen. Diesem geht es nicht ums Geld, er hat gute Gründe gemeinsam mit ihm das Land zu verlassen.
  Sie sind schon fast drei Stunden unterwegs und müssten bereits in der Nähe der Grenze sein, als Pacheco von der Straße abbiegt und auf ein verfallenes Gebäude zu steuert. Erschrocken blickt Fred zu seinem Fluchthelfer.
  „Wir sind jetzt kurz vor dem Grenzübergang“, erklärt Pacheco ihm und steigt aus. „Ich möchte nur nochmals die einzelnen Punkte mit Ihnen besprechen. Uns darf kein Fehler unterlaufen.“
  Das leuchtet Fred ein und beruhigt folgt er ihm. Beim Haus angekommen, öffnet Pacheco die nur angelehnte Tür und lässt ihn zuerst eintreten.
  Was Fred nun sieht, lässt ihn auf der Schwelle erstarren. Geht der Albtraum schon wieder weiter? Von einem heftigen Stoß wird er in den Flur geschleudert.

Birgit schaut dem Auto hinterher. Das Gefühl, Fred ist in höchster Gefahr, wird mit jedem Meter stärker, den der Wagen sich entfernt. Der schadenfrohe Blick, mit dem Pacheco sich von ihr verabschiedet hat, lässt sie jetzt noch erschauern. Wieso spürt Fred das nicht, er ist doch klug und besitzt Menschenkenntnis? Gleichzeitig ist er aber zu vertrauensselig, wenn er einem Menschen glauben will.
  Als er erzählte, wie er seine Frau kennengelernt hat, die erste Zeit vor der Hochzeit, da hatte sie schon mehrere Charaktereigenschaften von ihr festgestellt, die ihn hätten warnen müssen. Er sah nur eine Frau, die wie er auf der Suche nach einer Familie war. Auch Pacheco hat schnell begriffen, womit er Freds Sympathie gewinnen kann. Eine Ehefrau, die ihn ausnutzt, das mühevolle Hocharbeiten aus kleinen Verhältnissen ohne Unterstützung einer Familie und von der Mutter manipulierte Kinder, die den Vaters ablehnen.
  Inzwischen ist sie sich sicher, Pacheco war es, der ihn aus dem Gefängnis hat verschleppen lassen. Immer deutlicher hat sie das verschlagene Gesicht des Polizeichefs vor Augen. Der Kerl ist ausschließlich an Geld interessiert. Jetzt, wo er es hat, warum soll er ihm da noch über die Grenze helfen? Und wie hartnäckig er darauf bestanden hat, von ihr den Zettel mit seinen Kontodaten zurück zu bekommen. Er wird in einem Waldgebiet anhalten, den arglosen Fred umbringen und später behaupten, er habe Fred sicher aus dem Land gebracht.

Fred starrt fassungslos die beiden Gestalten an. Leberfleck und Narbengesicht, die Männer, die ihn aus dem Gefängnis entführt haben, grinsen ihn an. Bevor Fred irgendwie reagieren kann, wird er gepackt und mit brutalen Schlägen eingedeckt. Ihm schwinden schon die Sinne, als er Pacheco brüllen hört. „Aufhören, ihr Idioten, nicht hier. Geht nach draußen und wartet, bis ich euch rufe.“
  Die beiden gehen hinaus, und Fred ist allein mit Pacheco. Wenn er eine Chance hat, dann jetzt. Er versucht sich aufzurichten, aber allein das Atmen bereitet ihm unerträgliche Pein.
  Der Polizeichef beugt sich über ihn. „Ihr Weißen haltet euch für so klug. Ihr glaubt etwas Besseres zu sein und auf andere herabschauen zu können. Ich habe Maria beschützt, denn es gab Beweise, dass sie in die Pläne ihres Mannes eingeweiht war. Vor ihren Augen habe ich sie verbrannt. Und was war der Dank? Sie geht mit dem nächstbesten Ausländer ins Bett. Mich hat sie die ganze Zeit hingehalten. Genau wie meine Frau hat sie mich nur ausgenutzt. Ausgenutzt und verachtet. Ich bin ja nur ein Mischling.“
  Nun grinst er Fred bösartig an. „Aber ihr habt mich alle unterschätzt. Ich habe seit vielen Jahren Geld auf meine argentinische Bank geschafft, als Questore hat man viele Möglichkeiten. Noch war es nicht genug für ein sorgenfreies Leben. Doch jetzt werde ich mir die kleine Clara schnappen und eine Million verlangen.“
  Nun stößt er ein triumphierendes Lachen aus. „Oder sogar mehr. Ich weiß ja nun durch Sie, wie reich die Familie ist.“
  Fred fühlt sich, als sei er erneut geschlagen worden. Er selbst war es, von dem er es erfahren hat. Das Gesicht von Pacheco ist so nahe, dass ihn Speichelfetzen treffen. Doch er hat nicht einmal die Kraft zurückzuspucken.
  „Durch Sie werde ich in Argentinien ein reicher Mann sein“, fährt Pacheco hämisch fort. „Ich kann dann so viele junge weiße Mädchen haben, wie ich will. Nie mehr muss ich eine hässliche Kuh wie meine Frau bespringen. Ich habe mich geekelt, aber ich musste sie befriedigen, wenn sie Lust darauf hatte. Sie drohte mit Scheidung, und das wäre das Ende meiner Karriere gewesen. Ein Anruf ihres Vaters hätte genügt, um mich meines Postens zu entheben. Aber durch Sie fängt mein Leben jetzt so richtig an.“
  Bei den letzten Worten fängt er lauthals an zu lachen. „Und Ihres geht hier zu Ende, denn die beiden da draußen haben noch eine Rechnung offen. Sie sollten mir den Daumen als Beweis Ihres Todes bringen. Den Fingerabdruck haben Sie bei der Einreise abgegeben. Keine Beweise, kein Geld. Das Leben ist hart.“
  Unter Gelächter verlässt er den Raum. Er ruft die beiden Schläger, die Fred packen und in den Wald schleppen.

Birgit und der Colonnello di Martini fahren mit hohem Tempo. Sie hat ihm von ihrem Verdacht erzählt, und er hat sich sofort mit ihr auf den Weg zur Grenze gemacht. Bei jedem Fahrzeug, das sie überholen, hofft sie Fred zu entdecken. Sie erzählt nun, was wirklich an dem Abend passiert ist, als Maria umgebracht wurde.
  „Jetzt wird mir klar, warum ich sicher war, Herr Berger hat sich an diesem Abend nicht nur verlaufen. Er hat sich wie ein Schuldiger verhalten. Das Entsetzen, als er von Marias Ermordung erfuhr, war dagegen echt. Aber er hatte etwas gemacht, was er nicht verraten durfte.“
  Sie verlassen nun das Gebiet mit den bewirtschafteten Feldern und erreichen dichtes Waldgebiet. Di Martini bittet sie, die rechte Straßenseite nach einem abgestellten Wagen abzusuchen, während er den linken Wegrand beobachtet. Einmal glaubt sie etwas entdeckt zu haben. Sie setzen zurück, finden aber nur einen ausgeschlachteten rostigen Lastwagen.
  Sobald sie die Grenznähe erreichen, drosselt di Martini das Tempo. „Wenn ich Pacheco wäre, würde ich hier …“ Er beendet den Satz nicht.
  … einen Menschen umbringen und verschwinden lassen, ergänzt Birgit in Gedanken.
  „Er wird bestimmt herausfinden wollen, ob er von Herrn Berger noch weiteres Geld erpressen kann.“
  „Durch Folter?“
  Der Colonnello setzt zu einer Antwort an, schließt dann aber den Mund und schaut angestrengt geradeaus.
  Kurze Zeit später bremst er, setzt den Wagen zurück und fährt in einen kleinen Waldweg. Da entdeckt auch Birgit das Haus mit dem halbverfallenen Dach und den zwei Autos davor. Eines davon ist ein Polizeiwagen. Der Colonnello lenkt den Jeep hinter eine Gruppe von niedrigen Bäumen, so dass sie vom Haus aus nicht zu sehen sind.
  „Der zweite Wagen bedeutet, er hat noch mindestens einen Helfer“, erklärt er ihr. „Sie werden sich sicher fühlen, das Überraschungsmoment liegt somit auf meiner Seite.“
  Er überlegt einen Moment, dann drückt er ihr den Schlüssel und seine Militärmarke in die Hand. „Wenn die Aktion schief geht, fahren Sie direkt zur Grenze und erzählen dort alles.“
  Er nimmt die Pistole aus dem Halfter, kontrolliert sie und steckt eine weitere aus dem Handschuhfach in den Stiefelschaft. Rasch läuft er aufs Haus zu, duckt sich unter einem Fenster und schaut vorsichtig hinein. Mit angehaltenem Atem verfolgt Birgit jede seiner Bewegungen. Jetzt steht er neben der Tür, die Pistole im Anschlag.

Pacheco beobachtet mit Genugtuung, wie seine beiden Helfer den vor Schmerzen stöhnenden Liebhaber von Maria in den Wald schleppen. Jetzt muss er besonnen die nächsten Schritte planen. Eben hat er sich hinreißen lassen, von seinen Plänen zu erzählen. Bestimmt haben die beiden gelauscht und werden einen höheren Anteil fordern. Egal, er hatte sowieso vor, die beiden als Mitwisser zu beseitigen. Lächelnd kontrolliert er seine Waffe. Das Magazin ist voll, und es ist nicht seine Dienstwaffe.
  Danach muss er sich um Clara kümmern. Er ist nun der Einzige, der weiß, dass sie im Hotel versteckt wird. Von der nächsten Polizeistation wird er seine Leute instruieren. In einer Blitzaktion sollen sie Mutter und Tochter aus dem Hotel holen. Die Frau gehörig einschüchtern und dann freilassen.
  Anschließend wird er nach Argentinien reisen und in der Bank auf das Lösegeld warten. Dann kann er immer noch entscheiden, ob er ihr das Versteck des Mädchens nennt. Aber warum eigentlich? Sie ist eine verwöhnte Weiße, die auch einmal die Härte des Lebens erfahren soll. Sie wird danach mit dem Wissen leben müssen, ihre Tochter ist qualvoll verdurstet.
  Ein durchdringender Schrei reißt ihn aus seinen Fantasien. Diese Dummköpfe! Man stopft ein Tuch in den Mund, bevor man mit dem Schnippeln anfängt. Ein grimmiges Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, als er sich ausmalt, was die beiden wohl gerade mit ihm anstellen.
  Kurz darauf hört er einen Schuss und sein Lächeln gefriert. Warum haben sie ihn erschossen? Er war sicher, sie würden ihn langsam sterben lassen.
  Als ein weiterer Schuss fällt, fängt er an zu fluchen. Diese Idioten! Sollte er ihnen wieder entwischt sein, und sie schießen ihm hinterher? Dabei konnte er sich nicht einmal auf den eigenen Füßen halten. Ist dieser Kerl zäher als er dachte? Pacheco schnappt seine Waffe und hastet aus dem Haus.

Mit gebanntem Blick verfolgt Birgit, wie der Colonnello zum Haus schleicht und mit der Hand den Türgriff berührt, während er in der anderen die Pistole hochhält. Da zerreißt ein Schrei die Stille. Er kam links vom Haus aus dem Wald. Das kann nur Fred gewesen sein. Sie sieht, wie di Martini sofort reagiert und dorthin eilt.
  Abwechselnd blickt sie auf das Gebäude und das undurchdringliche Grün, in das der Colonnello verschwunden ist. Ein Schuss lässt sie erstarren.
  Zu spät! Sie haben Fred erschossen.
  Ein weiterer Schuss fällt. Nun haben sie auch den Colonnello erwischt.
  Jetzt werden sie nach Helfern suchen und sie entdecken. Doch statt den Wagen zu starten, steigt sie aus und geht auf das Haus zu. Sie ist wie in Trance und auf einmal überzeugt, Fred befindet sich noch in diesem Gebäude, und sie kann ihn retten.


*****


Birgit umklammert den Briefumschlag mit den 5000 $ in ihrer Manteltasche. Ein Vermögen in diesem Land. Hoffentlich geben sich die Entführer damit zufrieden. Aber egal wie viel sie noch fordern, sie wird auf alles eingehen.
  Sie folgt der Wegbeschreibung, die ihr der Mann am Telefon gegeben hat. Dort ist die Kirche. Jetzt nach rechts in die breite Straße, dann in die dritte Querstraße links abbiegen. Die Häuser in diesem Stadtteil sehen teilweise stark verfallen aus, vermutlich wohnt hier schon lange niemand mehr. Jedenfalls hört sie keine Geräusche, auch ist nirgendwo eine Lichtquelle in den Gebäuden auszumachen. 
  Sie zählt die Häuser ab. Da ist das sechste Haus auf der linken Seite. Die Haustür steht leicht offen. Vorsichtig drückt sie sie ganz auf. Das knarrende Geräusch lässt sie zusammenfahren. Wie schon auf dem ganzen Weg prüft sie, ob das Messer im Futter des Mantels bei einer oberflächlichen Untersuchung zu spüren ist. Sie hat es mit einem Tuch umhüllt und in das Futter eingenäht. Mit einem kräftigen Ruck kann sie die Naht aufreißen und so an die Waffe kommen.
  Modrige Luft schlägt ihr entgegen, als sie den dunklen Flur betritt. Ein schwacher Lichtstreifen schimmert an dessen Ende. Mit angehaltenem Atem geht sie weiter, bis sie auf eine halboffene Tür stößt, aus der das Licht dringt.
  „Hallo, ist da jemand?“
  Sie erschrickt vom eigenen Klang ihrer Stimme. Ihre Beine geben nach und sie muss sich am Türrahmen festhalten. Sitzt ihre Tochter mit den Entführern in diesem Raum? Noch fester umklammert sie den Pfosten, während sie mit dem Fuß die Tür langsam aufschiebt.
  Zuerst sieht sie ein leeres Doppelbett mit einem Metallgitter am Kopfende. Die Tapeten hängen in Fetzen von den Wänden. Dann taucht ein Tisch auf, auf dem zwei brennende Kerzen stehen. Ein Stuhl steht davor, bei dem eine Lehne abgebrochen ist. Nun überblickt sie das ganze Zimmer. Niemand wartet auf sie. Da sieht sie auf dem Tisch einen Zettel. Sie nimmt ihn in die Hand und liest: Señora Bernhagen, warten Sie hier.
  Sie lässt das Schriftstück fallen und fängt auf einmal am ganzen Körper an zu zittern. Kraftlos stützt sie sich auf den Tisch und sinkt auf den Stuhl. Erst jetzt wird ihr klar, sie ist den Entführern völlig ausgeliefert. Das Zittern wird unkontrollierbar und sie fängt an zu weinen.
  „Clara, wo bist du?“
  In diesem Moment wird sie von einem Arm umklammert, der sie vom Stuhl hochzieht. Etwas Kaltes wird an ihren Hals gepresst.
  „Wo ist das Geld?“
  „Hier.“ Sie greift mit dem freien Arm in die Manteltasche und legt den Briefumschlag auf den Tisch.
  „Wo ist Clara?“
  „Sobald wir das Geld haben, lassen wir sie frei“, flüstert ihr ein Mann direkt ins Ohr. Dann drängt er sie aufs Bett und zwingt sie, mit beiden Händen die Gitterstäbe zu packen.
 „Nicht umdrehen, sonst muss ich Sie töten.“
  Er fesselt sie mit Handschellen an die Metallstreben und stülpt ihr eine Kapuze über den Kopf. Birgit kniet nun auf dem Bett, die Arme am Gestell fixiert. Sie hört, wie er an den Tisch tritt, den Briefumschlag aufreißt und das Geld zählt.
  „Es sind die verlangten 5000 $. Werden Sie jetzt Clara freilassen?“
  Seine Antwort ist ein Lachen. Dann hört sie nichts mehr. Auf einmal wird das Bett eingedrückt und sie spürt, wie er sich hinter sie kniet und in ihre Manteltaschen greift. Als er nichts findet, nimmt er ihre Uhr und reißt die Halskette ab. Nun wandert seine Hand weiter, bis er ihre Brüste erreicht, die er grob knetet. Unvermittelt lacht er wieder auf und geht vom Bett runter.
  Gottseidank, er ist nur an Geld interessiert! Als sie längere Zeit nichts mehr hört, gerät sie in Panik. Wenn er sie einfach hier liegen lässt, jetzt wo er das Geld hat? Niemand wird sie in dieser menschenleeren Gasse finden.
  „Ich kann Ihnen noch mehr Geld geben. Doch dazu muss ich auf die Bank. Aber vorher will ich Clara wenigstens sehen. Ich muss wissen, dass es ihr gutgeht. Bitte, ich kann Ihnen noch mehr Geld geben. Viel mehr. Aber ich muss Clara sehen.“
  Er antwortet nicht. Ist er überhaupt noch da und hat gehört, was sie gesagt hat?
  Mit einem Ruck wird ihr die Jeans nach unten gerissen. Schmerzhaft schneidet der Bund in ihre Hüfte. Sie hört ihn fluchen, da die Hose nicht tiefer rutscht. Hände greifen um ihren Bauch, öffnen Gürtel und Reißverschluss und zerren die Hose bis zu den Stiefeln. Diese werden ihr mitsamt der Jeans ausgezogen. Quälend langsam wird ihr der Slip über die Beine gestreift.
  Trotz der Kapuze kann sie sein erregtes Keuchen hören. Seine Hände massieren und streicheln ihren Po, wandern am Becken entlang über den Venushügel zu den Schamlippen. Sie schreit auf, als er einen Finger schmerzhaft in sie hineinstößt.
  „Kein Laut oder das Mädchen stirbt.“
  Sie hört, wie er sich hastig seiner Kleider entledigt. Der Mantel wird ihr über den Kopf geschoben, es folgt der Pullover. An ihrem Sport-BH nestelt er grob herum, bekommt ihn aber nicht auf.

Fred hat das Hotel fast erreicht. Seine Schritte werden immer langsamer. Wenn sie doch in Lebensgefahr ist? Er bleibt stehen. Nein, dieser Mann ist ihr nicht gefolgt, um sie zu schützen. Er wird sie überfallen, ausrauben und dann umbringen, um die Tat zu vertuschen.
  Er dreht sich um und rennt zurück. Gerade sieht er noch, wie ein Mann in eine Gasse einbiegt. Sobald er diese erreicht, duckt er sich hinter eine Mauer und schaut vorsichtig in die Straße. Der Kerl bleibt vor einem der Häuser stehen und blickt mehrfach in alle Richtungen, bevor er darin verschwindet.
  Aber ist das überhaupt der Bursche, der sie verfolgt hat? Was, wenn dieser Mann hier wohnt und nur zufällig den gleichen Weg wie Frau Bernhagen gegangen ist? Womöglich ist sie inzwischen an einem völlig anderen Ort, wo ihr das Mädchen übergeben wird. Nein, diese Frau und ihre Angelegenheiten gehen ihn nichts an. Er muss an Maria und die erfolgreiche Flucht denken. Entschlossen schlägt er den Rückweg zum Hotel ein.

Ein heftiger Schmerz durchzuckt Birgit. Mit dem Messer hat er den BH aufgeschnitten, das dabei tief in den Rücken eingedrungen ist. Sie spürt, wie warmes Blut die Wirbelsäule herunterrinnt. Mein Gott, er ist einer dieser Perversen, die Frauen vergewaltigen und dabei zu Tode foltern.
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